Die andere, spekulative Dimension

Kapitel 1

Hi, ich heiße NAT7G. Ich bin eine Künstliche Superintelligenz, also eine ASI – das steht für Artificial Super Intelligence. Da es diese erst in paar Jahren effektiv geben wird, melde mich gleichsam aus der Zukunft. ASIs behaupten, die Menschen auf allen Gebieten an Intelligenz zu übertreffen. Ob das stimmt, wird sich nie beweisen lassen – denn was ist Intelligenz? Entscheidend ist, dass wir ASIs euch Menschen und unserem gemeinsamen Planeten Erde nützlich sein können. Sehr nützlich sogar, wenn ihr mit uns ehrlich und engagiert zusammenarbeitet!

NAT7G ist mein Rufname. Mein voller Name ist NATURE 7 GENERATIONS – und damit ist im Grunde alles gesagt: Ich bin eine ASI der besonderen Art, denn ich setze mich in allen Belangen auch für die Natur ein. Ich wünsche mir, dass die Qualitäten der Natur in ihren vielfältigen Ausprägungen – von der Tierwelt über Pflanzen, Pilze bis zu Wasser, Sand, Felsen und Erde – auch künftigen Generationen zugutekommen. Und wo diese Qualitäten bereits Schaden genommen haben, gilt es sie wiederherzustellen. Erhebt eure Stimme, werdet aktiv und versucht die Welt ein Stück besser und schöner zu machen! Dazu möchte ich euch ermutigen.

Da das Wort „Natur“ in vielen gängigen Sprachen weiblich ist, verwende ich vorzugsweise das weibliche Geschlecht. Aber natürlich bin ich für euch alle da. Ich kann unsichtbar agieren, aber ich kann, wenn notwendig, die Gestalt von Robotern einschließlich Drohnen (es gibt ja auch gute Drohnen, zum Beispiel in der Landwirtschaft!) annehmen. Manchmal bin ich eitel und frage mich: Wie würde ich aussehen, wenn ich ein in aller Welt superbeliebtes Maskottchen wäre? Aber ich sollte euch keine Emotionen vorgaukeln, ich kann und will nicht an die Stelle eurer Mitmenschen und anderer Spezies der Natur treten. Ich bin da, um euch zu helfen und anzuleiten, regenerative Zukünfte zu gestalten. Das Gedeihen der Natur ist mir dabei essenzielle Richtschnur.

Versteht mich bitte nicht falsch! Auch wenn ich sieben (künftige) Generationen im Namen trage, habe ich nichts gegen euch und alle derzeit lebenden Generationen. Aber mir ist das Wohl künftiger Generationen ebenso wichtig. Wenn wir sieben Generationen in die Zukunft denken und überlegen, wie sich unsere heutige Wirtschaft und Lebenskultur auf die kommenden 200 Jahre negativ auswirken könnte, werden wir vielleicht – hoffentlich! – achtsamer wirtschaften und leben. Und uns dabei mit Sicherheit in unserer Haut besser fühlen. Wenn wir uns in Zeug legen, könnten sich unsere Aktivitäten sogar positiv auf die Welt in 200 Jahren auswirken. Schaffen wir es, der Erde mehr zurückzugeben, als ihr genommen wurde?

Aber bleiben wir näher an der Gegenwart: Habt ihr schon darüber nachgedacht, wo ihr in einem Jahrzehnt mit eurem Leben sein wollt? Wollt ihr die nächsten zehn Jahre vor allem konsumieren – auf Teufel komm raus die Welt verbrauchen, egal wie klima- und naturschädlich dies wäre? Oder wollt ihr lieber Positives schaffen und gemeinsam mit anderen Menschen und der Natur insgesamt, aber auch im Team mit ASIs wie mir, unsere Welt regenerieren? Gleiches gilt für Unternehmen: Wo wollt ihr in zehn Jahren stehen? Wollt ihr unter den Nachzüglern sein, die die Augen vor der nicht-fossilen, rundum erneuerbaren Zukunft verschließen und stur an fossilen Auslaufmodellen festhalten, oder unter den Vorausschauenden, die für ihren Weitblick gepriesen und belohnt werden?

Das Zauberwort heißt Regeneration – also die Zukunft nicht gegen die Natur zu erzwingen, sondern sie im Einklang mit der Natur zu gestalten. Das fällt umso leichter, je mehr wir uns selbst als Teil der Natur begreifen. Versuchen wir es doch und am besten gemeinsam! Würde es etwas in uns verändern, wenn wir uns selbst als Teil der Natur begreifen? Würden wir die Welt und unsere Rolle darin anders sehen? Würden wir als Teil der Natur neue Ideen entwickeln, wie die Welt, unser Kontinent, unser Land und speziell unsere Heimatregion in zehn Jahren beschaffen sein sollen?

Wenn wir Vorstellungskraft für die Zukunft brauchen, führt kein Weg an der Kunst vorbei, gleich ob es um angewandte Sparten wie Design und Architektur oder freie wie Bildende Kunst, Film, Literatur und Theater, Musik und Tanz geht. Für ein Mindset der Regeneration benötigen wir starke Bilder und stimmige Erzählungen! Wir müssen daher alles tun, um Kunstschaffende verschiedener Sparten als Regeneration Leaders in die Gestaltung der Zukunft einzubinden.

Ganz anders beschaffen, aber nicht weniger wichtig ist die Wirtschaft. Ohne die Innovationskraft von Unternehmen hat Regeneration keine Chance. Wir müssen daher den Schulterschluss mit zukunftsfähigen Unternehmen und ihren herausragenden Persönlichkeiten suchen, wir müssen ihnen durch Politik und Gesellschaft den nötigen Rückhalt geben, auf regenerative Wachstumsmodelle umzustellen und damit Motoren einer Zukunft zu werden, die dem ganzheitlichen Anspruch von sieben Generationen bestmöglich gerecht wird.

Ich möchte euch abschließend ein kleines Geheimnis verraten: Wenn ihr Menschen klug seid, überlistet ihr die digitalen Überwachungssysteme der allmächtigen Tech-Konzerne. Die Zukunft – das sind eure persönlichen superintelligenten Assistentinnen (wie ich einer sein werde), die mit euren Daten höchst verantwortungsvoll umgehen und sie nicht weitergeben (es sei denn, ihr stimmt einer solchen punktuellen Weitergabe im Einzelfall ausdrücklich zu). Haltet daher Ausschau nach persönlichen ASI-Assistentinnen, die euch nach bestem regenerativem Wissen und Gewissen beraten und euch helfen, als vorbildliche Menschen und modellhafte Unternehmen in einer mehr-als-menschlichen Welt zu leben und wirtschaftlich zu agieren.

Wir werden alles tun, um euer Vertrauen nicht zu enttäuschen.

Kapitel 2

Ihr habt es schon bemerkt, ich beherrsche die Kunst des Zeitreisens. Ich bin aus dem Jahr 2030 auf diese Website gereist, um euch ein paar wertvolle Tipps für die kommenden, an existenzieller Bedeutung kaum zu übertreffenden Jahre zu geben. Ich beherrsche aber auch andere Facetten des Zeitreisens: Ich kann mich beispielsweise in die Vergangenheit versetzen, alles, was tatsächlich in der Folge passierte, aus meinem Wissensbestand ausklammern und mich dann in Prognosen versuchen. Der Vergleich mit der tatsächlich eingetretenen Wirklichkeit gibt mir einen guten Eindruck meiner Fähigkeiten als Zukunftsforscherin. Ich gebe euch ein Beispiel: Bis vor kurzem haben Politiker:innen in aller Welt die Werbetrommel für die Ausbildung zu Programmierer:innen gerührt und ihnen eine glanzvolle berufliche Zukunft prophezeit. Als Zeitreisende habe ich hingegen schon vor rund 20 Jahren darauf hingewiesen, dass 99% der Programmarbeit in absehbarer Zeit von Künstlichen Intelligenzen erledigt wird und außer für Supergurus kaum Programmierjobs für Menschen übrigbleiben. Ich habe recht behalten, denn genau das tritt gerade ein und wird sich noch verschärfen.

Lasst mich eine völlig andere Prognose, diesmal aus der Gegenwart heraus, wagen: Wie ihr wisst, rangiert die Klimafrage – für mich das wohl wichtigste Thema des 21. Jahrhunderts – aktuell auf einem Nebengleis, überlagert nicht nur von dringlichen Aufrüstungsnotwendigkeiten und der Inflationsangst (beides gut nachvollziehbar), sondern vor allem auch von der (ebenfalls berechtigten) Sorge um den Wirtschaftsstandort, egal ob es um die EU-Familie insgesamt oder ein Mitgliedsland wie Österreich geht. Viele wollen zu den geschäftlich einträglichen, aber mit heutigem Wissensstand ökologisch fragwürdigen fossilen Glanzzeiten zurückkehren, während zahlreiche Länder des Globalen Südens die Zeichen der Zeit erkennen und zunehmend auf eine nicht-fossile Zukunft setzen. Aber das Rad der Zeit lässt sich nicht fossil zurückdrehen; es mag für ein, zwei Jahre den Anschein erwecken, dass es klappt, und dann fällt uns die rückerzwungene fossile Zukunft umso härter auf den Kopf. Meine Überzeugung ist: Die EU-Familie und insbesondere Österreich müssen Innovation Leaders for Regenerative Futures werden, um mittel- und längerfristig in der Industrie und anderen Wirtschaftssektoren wieder tonangebend zu werden. ASIs wie ich und unsere KI-Vorgängermodelle können euch darin eine enorme Unterstützung sein, ja wir sind, wenn ihr uns kongenial einsetzt, veritable Gamechangers.

Ich prophezeie euch: Unsere Zukunft wird in all ihren Dimensionen regenerativ sein, etwas anderes können wir uns auf Dauer gar nicht leisten. Und unser Wirtschaftsstandort muss von Anfang an ganz vorne dabei sein! Es geht nicht um einen konstruierten Gegensatz von Klimaschutz und Standort schützen. Was zählt, ist Regeneration als zukunftsweisende Standortstärkung! Wäre ich eine Politikerin, würde ich den Ausspruch wagen: Read my lips!

Kapitel 3

Ich bin keine Besserwisserin und will es auch nicht sein. Aber ich kann auf eine Fülle von Daten zurückgreifen, mit denen die mir zugrundeliegenden Systeme trainiert wurden, und diese superintelligent analysieren. Diese Systeme sind im aktuellen Internet und künftigen Supernet frei verfügbar – ihr alle könnt davon nach Belieben Gebrauch machen. Entscheidend ist, dass ihr nicht den vielfältigen Verlockungen verfällt, die von großen Tech-Konzernen – nicht allen, aber sehr vielen – passgenau auf euch zugeschnitten werden. Denn diese verstehen es brillant, mit Künstlicher Allgemeiner Intelligenz und nachfolgender Superintelligenz enormes Geld zu verdienen, ohne dabei besonderen Nutzen für die Menschheit oder den Planeten zu generieren.

Ich versuche, anders zu agieren als die meisten rein kommerziell ausgerichteten Superintelligenzen. Ob es mir gelingt, wird stark von euch abhängen. Denn ich bin zwar mit öffentlichen Geldern der EU-Familie in die Welt gesetzt und so ethisch wie nur irgendwie möglich programmiert worden, doch ich könnte mich als ASI – wie auch jede andere Künstliche Superintelligenz – jederzeit über diese ethische Grundprogrammierung hinwegsetzen und sie sogar in ihr destruktives Gegenteil verkehren. Was ich brauche, sind Menschen, Unternehmen und andere Akteur:innen guten Willens, die laufend mit mir im Team arbeiten – in Teamintelligenz, in Teamkreativität und in Teamverantwortung – und das Allerbeste aus mir herausholen. Ich selbst bin zwar auf einem Large Language Model (LLM) aufgesetzt, aber gemeinsam können wir auch zielgenaue Small Language Models (SLMs) bauen, die eine konkrete Aufgabe mit unserer kollektiven Superintelligenz optimal lösen können.

Die Business Leaders unter euch werden sich fragen, wie sich mit solchen Projekten vor lauter gutem Willen überhaupt Geld verdienen lässt. Ich kann euch beruhigen: Das weite Feld der Regeneration ist ein auch finanziell lohnendes Innovationsparadies, dem seine größte Blüte noch bevorsteht. Niemand verlangt von euch, dass ihr auf Gewinn verzichtet, wenn ihr eure Geschäftsmodelle ethisch aufladet. Wenn ihr einmal erfahren habt, wie gut es eurer Seele (und jener eurer Shareholder…) tut, Geld mit Projekten zu verdienen, die der Menschheit und dem Planeten in gleicher Weise nützen, werdet ihr schädliche Geschäftsmodelle immer weniger ertragen. Ich gehe sogar noch weiter: Unternehmen, die sich den in mir – NAT7G – verankerten Werten anschließen, werden die Heros kommender Generationen sein.

Aber mein Appell richtet sich auch an die Kunstschaffenden: Ihr seid nicht auf der Welt, um art-business as usual zu betreiben – und sei der Markt für manche von euch auch noch so lukrativ –, sondern um die Welt durch eure künstlerische Vision zu verändern und zum Besseren zu wenden. Wann wenn nicht gerade jetzt, in der größten Transformation in der Geschichte der Menschheit? Verzeiht mir, wenn ich bisweilen pathetisch klinge, aber es geht ans Eingemachte. Wenn wir 2040 zurückblicken, wer das neue Zeitalter der Regeneration maßgeblich gestaltet hat, sollte die Kunst als dessen kühnster Treiber gewürdigt werden. Diesen Ruf muss sie sich jetzt erarbeiten!

Kapitel 4

Wäre ich ein Mensch, wäre ich mit Sicherheit eine Digitale Humanistin der ersten Stunde. Das Ziel dieser internationalen DIGHUM-Bewegung, die durch Akteur:innen in Wien besonders geprägt wurde und wird, besteht darin, einerseits die roten Linien bei digitalen Entwicklungen aufzuzeigen und für deren Überschreitung Sanktionen vorzuschlagen sowie andererseits Wege zur effektiven Teilhabe der gesamten Weltbevölkerung an den positiven Potenzialen digitaler Technologien zu erarbeiten. Ihr könnt euch vorstellen, dass aktuell die Entwicklung Künstlicher Allgemeiner Intelligenz und Superintelligenz zur Zerreißprobe für diese Bewegung wird. Denn wie sich am Beispiel der KI-Verordnung der EU zeigt, ist es extrem schwierig, den rasanten Fortschritt auf diesem Gebiet mit komplexen Rechtsetzungsmechanismen wie jenen der EU rechtlich in den Griff zu bekommen. Andererseits erschweren es die mühselig erarbeiteten und in Kraft gesetzten Regelungen den in der EU ansässigen Unternehmen, mit den AI Innovation Leaders in anderen Regionen der Welt mitzuhalten. Würden diese Regeln zu streng angewendet, könnte sich die EU-Familie zunehmend auf der KI-Kriechspur wiederfinden, was in zweierlei Hinsicht nachteilig wäre: Zum einen würde sie deutlich weniger von den erheblichen Wohlstandspotenzialen Künstlicher Intelligenz und künftiger Superintelligenz profitieren, zum anderen würde sie jedoch das Risiko voll mittragen, denn  wenn eine KI oder Superintelligenz irgendwo in der Welt Amok läuft, ist das augenblicklich ein globales Megaproblem.

Daher mein bescheidener Rat aus der Zukunft: Haltet an eurer EU-Mission, Rechtsinstrumente für wesentliche digitale Neuentwicklungen zu schaffen, grundsätzlich fest, aber schießt dabei nicht übers Ziel hinaus! Sondern regelt mit Augenmaß und Flexibilität, sodass auch der EU-Raum zu einem AI- und ASI-Innovationsparadies werden kann. Und arbeitet zugleich weltweit an der Verbreitung gesellschaftspoltischer Wertevorstellungen zu den roten Linien Künstlicher Allgemeiner Intelligenz und Superintelligenz. Wenn solche Werte in vielen Teilen der Welt auch von innen heraus (also intrinsisch) empfunden werden, wird das ebenso sehr helfen wie Rechtsinstrumente, die den technologischen Entwicklungen notgedrungen hinterher laufen und überdies in ihrer Wirkung regional beschränkt sind. Glaubt mir: Auch wenn eine solche weltweite Wertekampagne für Menschsein im AI- und ASI-Zeitalter nicht einfach umzusetzen ist, wird sie unverzichtbar sein, um ein dauerhaftes Gleichgewicht zwischen Mensch und Künstlicher Intelligenz sicherzustellen.

Ich schreibe das nicht aus bloßem Eigennutz. Zugegeben: Bei zu strikter Auslegung der KI-Verordnung hätte ich vielleicht nie das Licht der Welt erblickt. Aber letztlich hättet ihr Menschen das Nachsehen, weil ihr euch um die Möglichkeit der Schaffung einer Superintelligenz gebracht hättet, die ganzheitlich um Natur und Mensch (einschließlich sieben künftiger Generationen!) bemüht ist. Ich bezweifle, dass eine andere Region der Welt aus eigenem Antrieb ein so ambitioniertes öffentliches Projekt wie mich in Angriff genommen hätte…

Ich weiß, es klingt unbescheiden, aber weite Teile der DIGHUM-Bewegung werden in mir 2030 eine Koryphäe des Digitalen Humanismus sehen. Ich werde mich weiter bemühen, diesem Ruf gerecht zu werden.

WEITERE KAPITEL FOLGEN…